Ernährungszustand beobachten

Zu den pflegerischen Aufgaben rund um das Essen und Trinken zählt es auch, den Ernährungszustand eines älteren Menschen aufmerksam zu beobachten und regelmäßig zu erfassen, um Risiken für eine Mangelernährung frühzeitig erkennen und bei Bedarf entsprechende Maßnahmen einleiten zu können. Denn ein schlechter (werdender) Ernährungszustand beeinträchtigt die Leistungsfähigkeit, das Wohlbefinden und die Gesundheit eines älteren Menschen massiv. Gleichermaßen zu Hause, wie auch in der Senioreneinrichtung gilt es bei der Erhebung und Erfassung des Ernährungszustandes aufmerksam und sensibel vorzugehen. Wie eine regelmäßige Erfassung des Ernährungszustands mittels Screening und ein tiefergehendes Assessment aussehen kann und welche Bedeutung diese hat, zeigt dieses Kapitel. Darüber hinaus erfahren Sie, wie Sie mit Risiken umgehen können, welche Rolle ein Ess- oder Trinkprotokoll spielt, wie passende Ess- und Trinkhilfen eingesetzt oder Unterstützung beim Essen und Trinken geleistet werden kann.

 

Das Risiko einer Mangelernährung frühzeitig erkennen

Ältere Menschen können schneller als jüngere Personen in einen kritischen Ernährungszustand bzw. einen Flüssigkeitsmangel geraten. Das Alter an sich stellt bereits ein Risiko für die Entstehung einer Mangelernährung dar, das durch weitere Einflussfaktoren wie Erkrankungen weiter steigen kann. So kann beispielsweise ausreichendes Trinken aufgrund es nachlassenden Durstempfindens im Alter leichter als zuvor in Vergessenheit geraten. Gleichzeitig ist der Körper mit zunehmendem Alter, durch einen niedrigeren Gehalt an Körperwasser im Vergleich zu jüngeren Erwachsenen, immer weniger gut fähig einen Mangel an Flüssigkeit auszugleichen. Dies kann sich schnell in Kopfschmerzen, Kreislaufschwäche, Vergesslichkeit oder Verwirrtheit äußern.
So spiegelt der aktuelle Ernährungszustand letztlich wider, ob der Körper ausreichend mit Energie, Nährstoffen und Flüssigkeit versorgt ist. Da das Körpergewicht ein leicht zu messender Indikator ist, sollte dieses regelmäßig erfasst und dokumentiert werden. Denn kleine Veränderungen des Gewichts sind im Alltag meist weniger offensichtlich, ein kleiner Gewichtsverlust wird schnell zum gewohnten Anblick und damit zum neuen „Normalzustand“. Beachten Sie, dass Wasseransammlungen z. B. in den Beinen (Ödeme) zu einem höheren Gewicht führen und damit ein höheres Gewicht vortäuschen können. Treten bei einem älteren Menschen, und besonders bei denjenigen mit einem geringen oder sinkenden Körpergewicht, Symptome wie Müdigkeit, Schwäche, Konzentrationsprobleme auf, so ist es unbedingt angezeigt, auch das Essverhalten und die verzehrte Ess- und Trinkmenge gut zu beobachten.

 

Welche Anzeichen deuten auf eine Mangelernährung hin?

Neben dem Körpergewicht können viele weitere Hinweise oder Verhaltensweisen auf eine Beeinträchtigung oder Krankheit hindeuten, die eine Auswirkung auf das Ess- und/oder Trinkverhalten haben und damit das Risiko einer Mangelernährung erhöhen kann.
Als Pflege- oder Betreuungskraft in einer Senioreneinrichtung oder als pflegende*r Angehörige*r haben Sie einen engen Kontakt zur pflegendebedürftigen Person z. B. durch die Unterstützung bei der Körperpflege, beim An- und Ausziehen oder bei der Zubereitung und Begleitung der Mahlzeiten. Achten Sie hierbei auf alle Anzeichen, die auf einen schlechter werdenden Ernährungszustand oder eine Mangelernährung hinweisen könnten.

 

Die Ernährungssituation erfassen

In der hausärztlichen Praxis oder in der Senioreneinrichtung wird die regelmäßige Erfassung des Ernährungszustands auch als Screening bezeichnet. Dieses sollte in der Senioreneinrichtung im Rahmen einer Anamnese sofort beim Einzug eines älteren Menschen durchgeführt werden sowie dann, wenn akute Veränderungen des Ernährungszustands wie bei Abnahme des Körpergewichts auftreten. Dies empfiehlt der Expertenstandard „Ernährungsmanagement zur Sicherstellung und Förderung der oralen Ernährung in der Pflege“ des Deutschen Netzwerks für Qualitätsentwicklung in der Pflege (DNQP). Ein regelmäßiges Screening sollte demnach alle drei Monate erfolgen.

Um den Ernährungszustand eines älteren Menschen umfänglich erfassen zu können, ist eine ärztliche Konsultation notwendig, die je nach Bedarf unterschiedliche Untersuchungen umfassen kann:

  • Erfassung des Körpergewicht, Messungen der Hautfalten,
  • Berechnung des Body Mass Index (BMI)
  • Bestimmung von Blutwerten sowie ggf. weitere klinische Untersuchungen
  • Ermittlung der Körperzusammensetzung.

Eine gute Beobachtung und Dokumentation von auffälligem bzw. vom Normalzustand abweichende oder Ess- und Trinkverhalten ist dafür sehr hilfreich. 

Ist das Risiko für eine Mangelernährung oder einen Flüssigkeitsmangel erkannt, gilt es schnell zu handeln und bei Bedarf professionelle Hilfe hinzuzuziehen, um gesundheitliche Risiken zu vermeiden. Dies ist ganz besonders dann wichtig, wenn das Körpergewicht der betroffenen Person bereits niedrig ist oder sich der Ernährungs- oder Gesundheitszustand in der letzten Zeit verschlechtert hat. Im häuslichen Umfeld zählt die Beobachtung des Ernährungszustands eines älteren Menschen, sowohl langfristig als auch akut, zu den hausärztlichen Aufgaben. Dabei ist es hilfreich, die ärztliche Visitation durch möglichst präzise Angaben zum Körpergewicht, zum Ernährungsverhalten oder zur alltäglichen Situation rund um das Essen und Trinken oder verzehrte bzw. getrunkene Mengen zu ergänzen. Diese Angaben unterstützen die tiefergehende Befragung, die auch als Assessment bezeichnet wird und dabei hilft den Ernährungsstatus sowie alle Faktoren, die diesen beeinflussen können, ausführlich zu erfassen. Im Anschluss daran gilt es, die Ursachen zu erforschen und individuelle Lösungen zu finden. Im häuslichen Umfeld kann dies mit ärztlicher Unterstützung, einer Ernährungsfachkraft oder dem Hinzuziehen weiterer Berufsgruppen wie der Logopädie, der Ergotherapie oder weiterer Fachärztlicher Interventionen erfolgen.


In der Senioreneinrichtung wird in Zusammenarbeit mit der betroffenen Person und einer Ernährungsfachkraft, idealerweise in einem interdisziplinären Ernährungsteam nach individuellen Lösungen gesucht. Dabei sollten persönlichen Wünsche und Vorlieben der betroffenen Person erfragt und so weit wie möglich berücksichtigt werden. Neben einem Verpflegungsangebot, das den Bedarf deckt und die Bedürfnisse berücksichtigt, ist es zudem wichtig eine angenehme Essatmosphäre zu schaffen, so dass die Mahlzeit mit Genuss verzehrt werden kann.

Eine gute Beobachtung und Dokumentation des Ernährungszustands eines älteren Menschen ist zentral, um (das Risiko für) eine Mangelernährung rechtzeitig zu erkennen. Sie ist zudem hilfreich, wenn eine umfängliche Erfassung des Ernährungszustands durch eine*n Ärzt*in erforderlich werden sollte.

 

Was ist zu tun, wenn das Screening ein Ernährungsrisiko ergibt?

In erster Linie gilt es sofort zu handeln, für die betroffenen Person geeignete Maßnahmen zu erarbeiten und bei Bedarf eine Ernährungstherapie einzuleiten. Dabei sollten pflegende Personen im häuslichen Bereich zunächst auf die ärztliche Unterstützung zählen. Zusätzlich kann es empfehlenswert sein, eine Ernährungsfachkraft vor Ort sowie – bei Bedarf – die Kompetenz weiterer therapeutischer Fachbereiche wie Ergotherapie, Physiotherapie oder Logopädie einzubeziehen. Sprechen Sie den/die behandelnde*n Hausärzt*in gezielt darauf an, wenn Sie das Gefühl haben, dass Sie weitere Unterstützung benötigen.

In der Senioreneinrichtung werden Therapiemaßnahmen auf Basis der individuellen Biografie gemeinsam mit dem älteren Menschen und/oder einer angehörigen Person erarbeitet. Eine Ernährungsfachkraft und/oder ein*e diätetisch geschulte*r Koch/Köchin nehmen dabei in einem interdisziplinären Ernährungsteam eine zentrale Rolle ein. Daher sollte jede Senioreneinrichtung über ein solches Ernährungsteam verfügen, dass je nach Bedarf aus verschiedenen Disziplinen zusammengestellt werden kann.
Ein erster Schritt, um einem weiteren Gewichtsverlust entgegen zu wirken ist es, möglichst energie- und nährstoffreiche Lebensmittel auszuwählen oder Speisen mit diesen anzureichern

Ermitteln Sie aktuell bevorzugte Lieblingsgerichte der betroffenen Person und optimieren Sie diese mit energiereichen Lebensmitteln. Je nach Beeinträchtigung können die Speisen entsprechend zubereitet oder dargereicht werden, sodass ein genussvolles Essen und Trinken möglich ist. Reichen diese Maßnahmen nicht aus, so ist der zusätzliche Einsatz von hochkalorischer Trinknahrung sowie protein- oder nährstoffreicher Pulver, mit denen Speisen und Getränke zusätzlich angereichert werden können, empfehlenswert.

 

Mit der Dokumentation von Speisen und Getränken sinnvoll arbeiten

Ess- oder Trinkprotokolle unterstützen bei der Einschätzung der Ernährungssituation wie auch bei der Suche nach Ursachen für Probleme und Beeinträchtigungen, die rund um das Essen und Trinken auftreten können. Darüber hinaus dienen sie der Kontrolle von Ernährungsinterventionen, also von Maßnahmen, die dazu beitragen sollen den Ernährungsstaus zu verbessern. Ein Ess- oder Trinkprotokoll sollte anlassbezogen erstellt werden. Solche Anlässe sind z. B. die Dokumentation:

  • der Trinkmenge an sehr heißen Sommertagen, um zu überprüfen, ob ausreichend getrunken wird,
  • von Veränderungen oder Auffälligkeiten von Essverhalten oder verzehrter Mengen älterer Menschen mit einem geringen Körpergewicht.

Denn je präziser sich ärztliche Fragen mit Hilfe einer guten Dokumentation beantworten lassen, umso wahrscheinlicher liefert diese Hinweise auf mögliche Beeinträchtigungen oder Krankheiten und umso leichter lassen sich passgenaue Maßnahmen ableiten

 

Welche Informationen können/sollten erfasst werden?

Zur Dokumentation der Ess- und/oder Trinkmenge ist es hilfreich zu erfassen, wann Mahlzeiten verzehrt und wie viel bzw. wie gerne und gut gegessen oder getrunken wird. Es gibt keine festen Vorgaben für die Gestaltung eines Ess- und/oder Trinkprotokolls. Daher besteht die Möglichkeit ein Protokoll selbst zu gestalten oder eine Vorlage zu nutzen und diese ggf. anzupassen. Erleichtern Sie sich bei der Erstellung eines Trinkprotokolls die Arbeit, indem Sie das Fassungsvermögen aller verwendeten Trinkgefäße einmal abmessen und diese gleich in eine Vorlage eintragen, die dann als Kopiervorlage dient. So reicht es ggf. aus, neben den aufgeführten Trinkgefäßen eine Strichliste zu führen, wenn es lediglich um das Erfassen der Trinkmenge geht.

 

Dient das Protokoll in der häuslichen Pflegesituation, wie auch in der Senioreneinrichtung zur Kontrolle einer Ernährungsintervention, so können Sie es auch umfassender nutzen, indem Sie zusätzlich vermerken zu welchen Zeiten gut und gerne gegessen oder getrunken wird oder zu welchen Mahlzeiten bestimmte Speisen oder Getränke abgelehnt werden. Falls für Sie ein Grund erkennbar ist, z. B. Müdigkeit am Vormittag oder nach der Mahlzeit, notieren Sie diesen ebenfalls. Diese Angaben helfen Ihnen dabei, Ursachen für eine zu geringe Ess- oder Trinkmenge zu erkennen und Lösungen daraus ableiten zu können. In der Senioreneinrichtung sind diese Angaben auch Teil der Pflegedokumentation.

 

Wie lassen sich Zielmaßnahmen festlegen?

Haben Sie für den Zeitraum der Intervention ein Ziel festgelegt, z. B. innerhalb einer Woche das Gewicht um 200 g steigern oder die Trinkmenge um 150 ml pro Tag zu erhöhen, so tragen Sie den Zielwert ins Protokoll ein und bilanzieren Sie täglich die erfassten Mengen. Am Ende der Woche prüfen Sie, ob die gewünschte Gewichtszunahme erfolgt ist bzw. die Trinkmenge tatsächlich dem Ziel entsprechend gesteigert werden konnte. Ist dies nicht der Fall, so suchen Sie ggf. im Rahmen des interdisziplinären Ernährungsteams nach neuen Strategien bzw. Therapiemaßnahmen, um das gesetzte Ziel in einem nächsten Zeitraum zu erreichen. Beachten Sie dabei Ihre notierten Beobachtungen und versuchen Sie genau an diesen Stellen eine andere Lösung zu finden. Verändern Sie z. B. die Uhrzeiten, zu denen Sie Getränke anbieten, wählen Sie andere Getränke bzw. erfragen Sie, auf welche Speisen zurzeit Appetit besteht und bieten Sie diese an. Steigern Sie über diesen Weg langsam die Trinkmenge bzw. das Körpergewicht, bis eine Stabilisierung bzw. eine bedarfsgerechte Trinkmenge und/oder das gewünschte Körpergewicht erreicht wird.